Interview mit Hejj geführt von Miklós Janitsáry in der Fernsehserie Ungarn rund um die Welt - Hervorragende Lebenswege diesseits und jenseits der Grenzen (als Buch erschienen beim Alexandra-Verlag, 2007, Seiten 121-127).

 

Ich begrüße Sie, liebe Zuschauer, diesseits und jenseits unserer Grenzen. Mein heutiger Gast ist Dr. Andreas Héjj. Wenn der Begriff "rund um die Welt" überhaupt auf jemanden zutrifft, so trifft es auf ihn zu. Als er mich von seinem Wohnort, München, anschrieb, schickte er mir eine Liste von über 160 Staaten, in denen er Forschungsreisen unternahm, gelebt oder gelehrt hat.

Willkommen, lieber Andreas, ich freue mich sehr, dass du gekommen bist. Ich danke dir schön, dass du es auf dich genommen hast, zwischen Italien und München nach Budapest zurückzufahren, und ein wenig Zeit mit uns zu verbringen. Du bist in Zirc geboren, aber wie folgte Afrika? Wie alt warst du, als deine Eltern dich hier fortnahmen?

Mein Vater hat einen Vertrag als Ingenieur für den Entwicklungsdienst in Afrika unterschrieben. Wir lebten zuerst in Ghana, dann in Nigeria, West Afrika. Mit meinen Eltern bin ich am Anfang meiner Schulzeit dahin gekommen, da hat meine internationale Laufbahn ihren Anfang genommen.

Bist du dort zur Schule gegangen?

Zuerst bin ich zur Grundschule gegangen, später kam ich aufs Gymnasium, aber das Abitur habe ich nicht dort gemacht. Ich dachte, wenn ich es dem englischen Schulsystem entsprechend in London machen würde, würde es weltweit besser anerkannt werden als das West-Afrikanische Abiturzeugnis. Später, als ich in den Siebzigern in Deutschland mit diesem Londoner Zeugnis studieren wollte, stellte es sich heraus, dass mein Londoner Abitur in Bayern nicht anerkannt wird, und ich durfte die Prüfungen in München nochmals ablegen.

Hast du dein Universitätsstudium in München absolviert?

Ja, dort bin ich Diplompsychologe geworden.

Du bist Sozialpsychologe. Du warst ganz viel im deutschen Fernsehen, du hast mir ja eine Liste geschickt, welche Themen du da angesprochen hast. Unter anderem auch, weshalb es schwierig ist, Frauen zu verstehen, oder warum Ansagerinnen überwiegend blond sind, was den magischen Zauber hoher Absätze ausmacht, usw. Und jetzt kommt das Wichtigste: die Geheimnisse einer glücklichen Dauerbeziehung. Warum ist es so schwierig, Frauen zu verstehen?

Das sind offensichtlich Blickfänger, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der nach dem harten Arbeitstag ermattete Zuschauer nicht gleich das Programm wechselt. Was hinter diesen Titeln steckt, ist die Wissenschaft der Paarbeziehung, hielt es doch die Sozialwissenschaft sehr lange für antidemokratisch, sich damit zu befassen, weshalb der eine erfolgreicher ist, als der andere, müssten doch alle Menschen gleich sein. Es war nicht angebracht und eines Wissenschaftlers unwürdig, das Liebesleben des Menschen zu erforschen. Vor einem viertel Jahrhundert wussten wir erheblich besser Bescheid, wie chemische Verbindungen zustande kommen, als wie die menschlichen. Ich habe bereits damals beschlossen, mich jenen Forschern anzuschließen, die sich trauen das zu untersuchen, was sie wirklich interessiert. Für meinen Teil habe ich nur Themen untersucht, die ich spannend fand, und habe nie "Vorgeschriebenes" erforscht. Es war mir ein wichtiges Anliegen, dass die Themen auch meine Studierenden interessieren, und ich hatte nie Probleme, Gruppen zusammenzubekommen, die solche Fragestellungen gerne erforschen.

Lass uns ein weiteres Thema aufgreifen: warum sind Ansagerinnen überwiegend blond?

Deine Frage ist kurz, doch die Antwort ist viel länger als du denkst. Ziel der Psychologie ist es, das Verhalten und Erleben des Menschen zu erklären. Warum ein Mensch sich so oder so verhält. Der Zweig der Psychologie, mit dem ich mich befasse, und du hast ja mich gefragt, ist die Evolutionspsychologie, das heißt, unser Verhalten wird zum großen Teil von Umgebungsbedingungen beeinflusst, die unsere Vorfahren über Hunderttausend Generationen in der Savanne umgaben, und denen sie sich angepasst haben. Kinder in unseren Breitengraden werden häufiger mit helleren Haaren geboren, als mit dunkleren. Deshalb erwecken helle Haare mehr Vertrauen als dunkle. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir von "dunklen" Gedanken, "Schwarzarbeit" oder jemanden "anschwärzen" sprechen.

Fernsehen ist in unsere Welt und in unser Seelenleben eingebrochen wie seinerzeit der Häuptling, der festlegte, was die übrigen Mitglieder des Stammes tun sollen, und das in einer Welt, in der abertausend Generationen allabendlich die Geborgenheit des Lagerfeuers genossen. Heute steht ein Fernsehgerät vor unseren Zeitgenossen, aber unsere Steinzeitpsyche merkt nur, dass der flimmernde Sprecher uns etwas preist: ein Auto, eine politische Partei oder eine Fernsehsendung. Damit man einem Fremden eher vertraut werden häufiger Blonde gewählt, da wir helle Haare eher mit kindlicher Unschuld und Wohlwollen als mit dem Dunkelhaarigen, der als nicht mehr so naiv angesehen wird.

Ist das bewiesen?

Ja, die Experimente belegen es.

Du hast einen Versuch durchgeführt, mit dem du mehrfach das Wahlergebnis aufgrund der Körpermaße abgebildeter Frauen voraussagen konntest. Irgendwie hatte es mit den Blondinen im Playboy zu tun. Das klingt ja recht unglaubwürdig, kann man das wirklich so voraussagen?

Da sollten wir ein wenig genauer sein. Mit Blondinen hat diese Forschung nichts zu tun. Nur damit, wie die Körperformen, speziell die weiblichen Rundungen der in einem gegebenen Zeitraum im Playboy abgebildeten Damen sind. Das Bedürfnis einer Gesellschaft beeinflusst den Zeitgeist. Die Hauptfrage ist, welche der beiden Aufgaben der Frau in den Vordergrund gerückt wird: Was ist angesagter, Kinder zur Welt bringen oder Arbeitskraft sein. Es geht nicht um Ausschließlichkeit, nur um eine leichte Akzentverschiebung. In Etappen, in denen die Gesellschaft – die natürlich aus Frauen und Männern besteht – als Ganzes spürt, dass es Kinder, Familie braucht, und diese Werte werden nun eher der christlichen Demokratie, den bürgerlichen Parteien zugebilligt, da kommen weiblichere Frauen mit mehr Rundungen im Playboy vor. Andererseits, wächst der Bedarf an weiblicher Arbeitskraft, wird dieser Wert eher von der Sozialdemokratie, den linken Parteien vertreten. Zu solchen Zeiten bevorzugt Playboy dünnere Frauen mit weniger Rundung, deren Arbeitsfähigkeit höher angesehen wird. Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Chefredakteur von Playboy unter irgend einem politischen Einfluss stehen würde. Er spürt einfach den Zeitgeist, und weist, was sich gut verkauft. Das erstaunliche ist, dass seit der Existenz eines unabhängigen deutschen Playboy, 1959, die jährlichen Mittelwerte der "Rundlichkeit" tatsächlich immer abgenommen haben, wenn die Sozialdemokratie, die Linke siegte. Aber sie nahm immer zu, wenn die Rechte gewählt wurde. So konnte ich jeweils sechs Wochen vor den letzten drei Bundestagswahlen im führenden RTL-Magazin Extra aus den Abweichungen der mittleren Rundlichkeit voraussagen, welche Partei Wahlsiegerin wird.

Gehen wir ein wenig weiter zurück in der Zeit, zu deiner Kindheit in Afrika. Du hast mir berichtet, dass du an zahlreichen Zeremonien teilgenommen hast. Später, als du promovierter Wissenschaftler geworden bist, bist du zurückgekehrt, und hast an der Initiation der Männer teilgenommen. Gerne wärest du auch bei der der Frauen dabei, aber da durftest du nicht hinein. Was lernt der Psychologe von solchen Ritualen?

Die etwa einjährige Ausbildung, in der die beiden Geschlechter - streng getrennt - von ihren alten erfahrenen Geschlechtsgenossen für das körperlich-psychisch-spirituelle Leben vorbereitet werden, ist extrem wichtig in den traditionellen Gesellschaften. Das ist die Initiation oder die Einweihung. Das habe ich in unterschiedlichen Gesellschaften in Süd-Amerika, Papua-Neuguinea, Mikronesien und Afrika untersucht. Leider hatte ich kein ganzes Jahr dafür, so konnte ich nur partiellen Einblick bekommen. Aber man kann auch in zwei-drei Monaten recht viel lernen. Männer werden einerseits auf die technischen Aufgaben vorbereitet, die notwendig sind, um eine Familie zu ernähren: zu jagen, sich - auch am offenen Meer - nicht zu verfahren, Häuser zu bauen. Andererseits an den Friedensverhandlungen mit den benachbarten Stämmen als gute Vermittler auftreten zu können, und die Konfliktfälle möglichst friedlich zu lösen. Wenn das aber nicht gelingt, sollen sie keine Angst haben, in den Krieg für ihren Stamm zu ziehen. Bis zum Ende dieses Lehrgangs müssen sie auch die heftigsten Gefahrensituationen und Gefühle meistern lernen. Zum Schluss gibt es ein schmerzhaftes äußeres Zeichen, wie etwa die Beschneidung oder die Tätowierung des ganzen Körpers. Entsprechend der Tradition werden Männer vorbereitet, damit sie anschließend wegen einer etwaigen emotionalen Schwäche durch nichts mehr bedroht, erpresst und in die Knie gezwungen werden können, und so lernen, für sich, ihre Familie, ihren Stamm und vor der Reihe ihrer Ahnen Verantwortung zu tragen.

Du hast ja erwähnt, dass du als Mann nicht teilnehmen konntest an der Fraueninitiation, aber was denkst du, was die Frauen dabei lernen?

Ich möchte betonen, dass das ein Tabu ist. Nicht einmal ein Mann des eigenen Stammes darf sich dem Frauenhaus nähern. Aus der spärlichen Fachliteratur erfahren wir, dass die Frauen hier ihre eigene Verantwortung vertiefen lernen, also ihre emotionale Vorbereitung, u. a. lernen sie es auch, mit Eifersucht fertig zu werden.

In einem Stamm der mikronesischen Föderation rauben die Männer eine Frau des benachbarten Stammes. Leider konnte ich nicht beobachten, ob sich die Frauen freiwillig melden, damit man sie mitnimmt, aber Fakt ist, dass diese geraubten Frauen keineswegs gefesselt werden, sie kommen ins Männerhaus. Im Prinzip leben sie hier physisch frei. Da die Männer tagsüber Nahrung beschaffen müssen, könnten die "zugereisten" Frauen weg, aber das tun sie nicht, denn die Frauen des Stammes würden ihnen die Augen auskratzen. Nur die Tabus schützen sie vor den "Gastgeberinnen", die deshalb nicht wagen, das Männerhaus zu betreten. Nach einer Zeit legalisiert sich die "Aufenthaltsgenehmigung" der Geraubten, indem sie vom einem der heimischen Männer geheiratet wird, und ab dann gehört sie zum Stamm.

Wie siehst du die Welt heute, die Gesellschaft von heute?

In einer meiner Uni-Vorlesungen habe ich die Hörer gefragt, wer von ihnen Selbsterfahrung oder Therapie macht. Es stellte sich heraus, dass gut 60 Prozent der Hörer an so etwas teilnimmt. Ich behaupte keineswegs, dass diese Daten repräsentativ seien. Dennoch ist es erstaunlich, dass ein so großer Anteil deutscher Universitätsstudierenden es für nötig erachtet, doch noch etwas aus jener Initiation nachzuholen, die man aus unserer Tradition getilgt hat. Die sog. zivilisierte Welt kennt keine Initiation mehr, nur kümmerliche Erinnerungsreste sind erhalten geblieben, wie etwa die Firmung oder die Jugendweihe. In Wirklichkeit werden westliche Männer nicht auf jene Verantwortung vorbereitet, die sie ihrer Heimat, ihrer Familie, ihrer Nation gegenüber zu tragen hätten.

Glaubst du, dass das der Grund ist, weshalb das Jugendalter immer weiter hinausgeschoben wird, und die dreißig-vierzigjährigen Männer zuhause bleiben am Rockzipfel ihrer Mütter, statt sich ihr eigenes Nest zu bauen?

Allerdings.

Oder haben sie Angst?

Diese beiden Erklärungen hängen zusammen. Sie sind nicht vorbereitet worden, also haben sie noch Angst, sie sind leicht zu beeinflussen, falls man ihnen verspricht, heftige, negative Gefühle ihnen fernzuhalten. Das könnte der sog. Terrorismus sein, aber auch nur, ihre Hemden alleine bügeln zu müssen, also werden sie von der bedrückenden Einsamkeit freigestellt, ja erlöst. Diese Freistellung mag auch die trügerische Form der virtuellen Welt annehmen, die in unseren Alltag hineinsickert, und sie haben das Gefühl, dass sie Dank Internet mit der ganzen Welt verbunden wären, obwohl sie in Wirklichkeit eher in diesem Netz festgezurrt zappeln.

Hast du mehr gelehrt oder geforscht in den Ländern, die du bereist hast?

Natürlich habe ich nicht in jedem dieser Länder gelehrt oder geforscht. Ich habe wissenschaftliche Tagungen besucht, Kontakte zu Uni-Kollegen geknüpft. Vorlesungen habe ich gehalten in Süd-Amerika, Riga, Italien, Deutschland und Österreich. An diesen Orten hatte ich längere Aufträge. In Süd-Afrika und zahlreichen anderen Ländern hatte ich Forschungsprojekte. Die übrigen Länder habe ich als Interviewer interessanter Berichterstatter bereist, damit ich meinen Hörern und dann einem größeren interessierten Publikum anspruchsvollere Hintergrundinformation bieten kann.

In Ungarn erscheint gerade deine DVD mit dem Titel Ein Blick hinter die Tabus – ein Sozialforscher führt rund um die Welt. Band 1 dokumentiert fünf Staaten: Irak, Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan. Mit deiner Partnerin bist du mitten in den Krieg in den Irak gereist. Das war wohl kein Kinderspiel. Was hast du gesehen, was hast du erfahren? 

An einem bestimmten Samstag (18.01.03) haben Zehnmillionen Menschen rund um die Welt gegen den Angriff auf den Irak protestiert. Als der Überfall auf den Irak doch erfolgte, und Präsident Bush tönte: "Mission accomlished" (die Mission sei erfüllt), hat die Presse, zumindest in Deutschland, kaum über den Irak berichtet. Ich spreche vom Juni 2003. Ich hatte das arge Gefühl, hier stimmt etwas nicht, und wollte der Sache selbst nachgehen. Wie du gesagt hast, habe ich meine arme besorgte Partnerin überzeugt, mich zu begleiten, und wir sind einfach in den Irak gereist. Dort verbrachten wir einen Monat, machten Interviews, und sahen, dass die Menschen fürchterlich leiden und Angst haben, dass da schreckliche Dinge passieren. Da haben wir über die Folterkammer der Bringer der Demokratie erfahren, über die Massenmorde, die die Besatzer gegen die Iraker begingen, und das wich stark von der in Deutschland verbreiteter Sichtweise ab, wo uns von Befreiung und Demokratisierung gefaselt wurde. Damals hat Deutschland und die Welt die Fotos von Abu Ghraib noch nicht gesehen, man wusste noch nicht, wie viel besser demokratischer Folter sei als der absolutistische.

Meine Dokumentation konnte ich in Deutschland nicht publizieren. Zuerst ist es in Ungarn in der Tageszeitung Magyar Nemzet erschienen. Hierzulande war man mutiger, als die übrigen, sogar (das wöchentliche ungarische Fernsehprogramm) Presseklub hat meinen Artikel sehr positiv diskutiert. Auszüge meiner Dokumentation sind in Österreich, Süd-Tirol, ja sogar in New York erschienen. Aber in Deutschland konnte ich es nicht veröffentlichen, da sich Deutschland den amerikanischen Befreiern gegenüber sehr verpflichtet fühlt, und ist sehr vorsichtig mit einer Kritik.

Andreas, verrate es mir: was ist dein Ziel mit dem viel Reisen und Lehren, was möchtest du wirklich erreichen?

Mein Hauptziel ist, dass die Jugend und die nächste Generation vermeiden kann, was ich in Afrika, beim Stamm der Aschanti gesehen habe, und zur Veranschaulichung dessen ich diese Holzfigur mitbrachte, die einen in Ketten geschlagenen männlichen Sklaven darstellt. Ich möchte dazu beitragen, dass die nächste Generation  nicht an virtuellen oder tatsächlichen Ketten gebunden als Sklaven der globalen Herrscher der Welt leben müssen. Diese Statue möge uns erinnern: Viele Millionen Sklaven mussten schon unter dem Joch der globalen Elite leiden.

Andreas, ich danke dir schön, dass du hier warst und wünsche, dass sich deine Hoffnungen erfüllen mögen.

Vielen Dank für die Gelegenheit für dieses Gespräch.