Evolutionspsychologie
– der sein „Mitgegebenes“ bewusst verwirklichende Mensch
von
Psychologie ist bekanntlich die
Wissenschaft vom Verhalten und Erleben des Menschen.
Dabei gibt es unterschiedliche Forschungs-
und Erklärungsansätze, die sich gegenseitig in ihrem Bemühen unterstützen, dem
Einzelnen dabei zu helfen, seine Ziele besser zu erkennen und zu erreichen und
mit seiner sozialen Umwelt in harmonischen Beziehungen zu leben. Jede
Erfahrungswissenschaft lebt davon, dass historisch neuere Modelle bestimmte
Facetten der Wirklichkeit zutreffender erklären und voraussagen können als die
älteren Modelle. Stets hat also das neuere Paradigma die Chance, sich gegen die
alten durchzusetzen, bis einige Zeit später ein wiederum neueres Paradigma,
bestimmte Aspekte der Wirklichkeit noch besser erklären kann.
So hatte es die
Evolutionspsychologie (EP) der frühen 90er Jahre keineswegs leicht, neben dem
etablierten kognitionspsychologischen Ansatz Anerkennung zu finden, legte doch
die kognitive Wende der 70er Jahre den Menschen die gern gesehene Annahme nahe,
sie würden alle auf sie einströmenden Informationen, einem riesigen Rechner
ähnlich, nüchtern und rational analysieren, um dann die nach dem verfügbaren
Erkenntnisstand bestmögliche Entscheidung zu treffen: Der Mensch könnte alles
begreifen und hätte alles im Griff.
Allerdings ließ die vielfache
Irrationalität menschlichen Verhaltens erhebliche Zweifel an diesem, manchmal
ein wenig blutleeren Menschenbild aufkommen. Also schickte sich eine mutige
Gruppe junger Forscherinnen um Leda Cosmides, Margo Wilson, Margie Profet in den USA (und ihre Kolleginnen in der BRD, wie
etwa Doris Bischof-Köhler, Margarete Schleidt, oder
Johanna Uher) zusammen mit ihren Kollegen an, den
neuen Zweig EP auszubauen. Dieser transdisziplinäre
Ansatz integriert die erst zum Ende des 20. Jahrhunderts verfügbaren
Erkenntnisse u. a. der Tiefenpsychologie, der Ethologie, der Ethnologie, der
vergleichenden Kulturanthropologie, der Spiel- und der Systemtheorie, der
neuronalen Netze, der Psychoneuroimmunologie und der Molekulargenetik. Im
Unterschied zur Soziobiologie, handelt es sich bei
der EP um eine hypothesengeleitete, streng experimentelle Wissenschaft.
Gegenstand der EP sind jene
Verhaltenstendenzen, die allen Menschen gemeinsam sind, die der gesamten
menschlichen Art allgemein sind. Dies schließt jede mögliche Diskriminierung
(etwa die aufgrund der Abstammung eines Individuums) aus. Die Bezeichnung
„Rasse“ war unter ideologischer Verblendung und mit den bekannten fatalen
Konsequenzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebräuchlich. (Hier, für
eine Leserschaft, die die deutsche Geschichte kennt, sei nur auf ein weniger
bekanntes Beispiel verwiesen: Der Präsident der Vereinigung Amerikanischer
Psychologen (APA), Stanley Hall, beklagt den ersten Weltkrieg wegen der
Vernichtung der von ihm so genannten "great Nordic
race“ [Hall, G.S. (1917). Practical relations between psychology and the war. Journal
of Applied Psychology, 1, 6-13]). „Rasse“ kommt in der EP weder als
Begriff noch als Konzept vor.
Spricht ein Evolutionspsychologe von
„evolvierten Verhaltenstendenzen“, also von solchen,
die sich als Anpassung an die Umweltbedingungen der frühen Vorfahren aller
Menschen entwickelt haben, so muss er keineswegs Anhänger des Darwinismus sein,
also daran glauben, dass der Mensch „vom Affen“ abstamme. Angenommen wird
lediglich, dass heute wirksame Verhaltenstendenzen durchaus eine lange
Entstehungsgeschichte aufzuweisen haben.
Die EP macht deutlich, dass ein
konkretes Verhalten durch eine ganze Reihe von Faktoren ausgelöst wird, zu
denen neben bewusster Reflexion und freiem Willen auch umweltbedingte,
historische, kulturelle, situative und
lerngeschichtliche gehören. Hinzu kommt unsere „Voreinstellung“, auf
Herausforderungen, die unsere Spezies seit Tausenden von Generationen
erfolgreich bewältigt hat, zunächst so zu reagieren, wie es sich seit Jahtausenden bewährt hat. Experimente von Öhmann, Erixon und Lofberg zum
lerntheoretischen Konzept der Bereitschaft zeigen z.B., dass wir viel leichter
und nachhaltiger lernen können, Schlangen zu fürchten als Häuser. Unsere
heutige Umgebung in der anonymen Massengesellschaft unterscheidet sich
erheblich von jener der Stammesgesellschaft der südostafrikanischen Savanne der
frühen Steinzeit, in der sich bestimmte, tausendfach bewährte
Verhaltenstendenzen aller Menschen als vorteilhaft ausbreiten konnten. Wir sind
von unseren ursprünglichen Lebensbedingungen abgerückt: entsprechend wirkt so
manche unreflektierte „moderne“ Verhaltenstendenz verrückt. War es damals in
der Tat sinnvoll, einer Giftschlange nicht zu nahe zu treten, so schadet sich
der/die moderne Jugendliche, wenn er/sie in Furcht vor der Begegnung mit einer
Blindschleiche lieber dem Zeltlager mit seinen Freunden fernbleibt. Aus unserem
heutigen Leben wird es kaum verständlich, warum die Klatschspalten über die
Mitglieder der „High Society“ so gierig gelesen werden. Dieses Beäugen der
Stammesführer wird erst im Lebenskontext unserer Vorfahren sinnvoll.
Solche „Vorlieben“ gewinnen für den
verantwortungsbewussten Sozialwissenschaftler dann besondere Brisanz, wenn sie
dem Gleichbehandlungsgebot demokratischer Gesellschaften zuwiderlaufen. Genau
dieser Gefahr setzt man sich aber aus, wenn man die Erkenntnisse der
Evolutionspsychologie ignoriert oder gar leugnet. Ein Beispiel: Befragt man
Richter, ob das Aussehen von Angeklagten für die Urteilsfindung und für das
Strafmaß relevant sei, so antworten sie mit einem klaren „nein“. Gibt man den
gleichen Tathergang jeweils mit dem Foto eines aus unabhängigen Beurteilungen
als sehr gut aussehenden bzw. sehr wenig gut aussehendem „Angeklagten“, so gibt
es doch einen höchstbedeutsamen Unterschied im Strafmaß zugunsten der gut
Aussehenden. Efran konnte diesen Befund immer wieder
replizieren, unabhängig vom Geschlecht der Richter oder der Angeklagten. Dies
ist eine de facto Diskriminierung aufgrund des Aussehens. Sobald diese Tendenz
den Richtern bewusst gemacht und belegt wird, so können sie es willentlich
ausgleichen, so dass die Angeklagten nun fair beurteilt werden. Auch
Studierende können erst mit einer fairen Prüfung rechnen, wenn ihre Prüfenden
bewusst reflektieren, welche Reaktionen ihre Aufmachung in ihnen sonst auslösen
würde. Die Befunde von Buss zeigen, dass ein höchst
eleganter Kandidat im Armani-Anzug von einem männlichen Prüfer als statushöhere
Konkurrenz wahrgenommen werden könnte, dem es zu zeigen gilt, dass doch der
Prüfer der „Boss“ ist. Entsprechend prüft er ihn penetrant, es sei denn, er
weiß um die entsprechenden EP-Erkenntnisse und kann dieser „Versuchung“ bewusst
entgegensteuern.
Evolutionspsychologen werden oft gefragt, ob wir nun
„Sklaven“ unserer bewährten Verhaltensprogramme seien. Die Antwort lautet: keineswegs! Wir können etwa angesichts eines äußerst
attraktiven Menschen des für uns passenden Geschlechts unser aufkeimendes
romantisches Interesse jederzeit bewusst bremsen und "nein" sagen,
wenn diese Partnerschaft etwa beruflicher Natur und keine Paarbeziehung sein
soll. Hingegen muss uns erst noch die Frau oder der Mann begegnen, die/der nur
kraft ihrer/seiner bewussten Entscheidung erfolgreich zu beschließen vermöchte,
sich aufgrund „rationaler“ Argumente in jemanden zu verlieben, wenn diese
Person keine Merkmale zur Schau trägt, die deutlich machen, dass sie in der
Steinzeit eine gute Mutter bzw. ein guter Vater gesunder Kinder sein hätte
können.
Oft wird die EP dahingehend missverstanden, dass
nur ein Verhaltensmuster für bestimmte Situationen angelegt sei. In
Wirklichkeit entwickelte sich eine große Anzahl von Verhaltenstendenzen für die
Vielfalt der Konstellationen, mit denen unsere Vorfahren konfrontiert waren.
Insofern gleicht unser mitgegebenes Verhaltensrepertoire eher einem Rezeptbuch
als einem einzigen Rezept. Die Erkenntnisse de EP können dazu beitragen, die
Voraussetzungen zu schaffen, dass das „Buch“ an der gewünschten Seite
aufgeschlagen wird. Um Menschen zu Kooperation und Solidarität zu bewegen, ist
es wirksamer, die lebensrettende evolutionäre Relevanz dieser Verhaltensweisen
zu kennen und die Situation in der Gegenwart entsprechend gestalten zu können,
als den moralischen Zeigefinger zu erheben. Somit ist die Zielsetzung der EP,
dem Menschen jene Bedingungen an die Hand zu geben, die es ihm ermöglichen,
heute unangemessen gewordene Verhaltenstendenzen bewusst zu vermeiden und aus
dem Vollen seines „Mitgegebenen“, des Erfahrungsschatzes seiner Vorfahren, zu
schöpfen.
Standardwerk:
Barkow, J., Cosmides, L., & Tooby, J.
(1992). The adapted mind. Evolutionary psychology and the generation of culture.
Auszüge aus: Controversies surrounding evolutionary psychology von Edward H. Hagen, Humboldt-Universität zu Berlin
(Gesamttext)
Political correctness
In 1632, Galileo’s Dialogue concerning the Two
Chief World Systems, Ptolemaic & Copernican was published in
Like the Church, a number of contemporary thinkers
have also grounded their moral and political views in scientific assumptions
about the world. In the current case, these are scientific assumptions about
human nature, specifically that there isn’t one (Pinker 2002). Theories calling
these assumptions into question are, like Galileo’s Dialogue, a threat.
The problem, of course, is not with those who claim that there is a human nature, it is with those who have succumbed to the
temptation to ground their politics in scientifically testable assumptions
about humans. This is especially unwise because the science of human psychology
is currently quite undeveloped.
There are few solid facts and no proven theories about
our behavior, thoughts, and feelings. Any set
of assumptions will undoubtedly be challenged by future research. Yet the
inevitable research that calls into question assumptions underlying popular
moral and political views will, in effect, be heresy, and heresies are, as a
rule, viciously attacked. As long as important political and moral views are
grounded in scientific hypotheses, a true science of human cognition and behavior will be difficult, and perhaps impossible, to
achieve.
Is evolutionary psychology racist or sexist?
Perhaps the most important enlightenment value, one
intimately bound up with the blank slate view of human nature, is that of human
equality. If EP poses a severe threat to the blank slate, and it does (Pinker
2002), does it not also pose a severe threat to this rightly cherished value?
Let me put off answering this question for a moment, and first explain what EP
says, scientifically, about the equality of human capabilities. The answer is
simple and by now easily guessed by the reader. Across the globe, human bodies
are, in their functional organization, virtually identical. People in every
population have hearts, lungs, and livers, and they all work the same way. A
pan-human anatomy is a solid empirical fact. EP proposes that the same
evolutionary processes that lead to a pan-human anatomy also lead to a
pan-human psychology (Tooby and Cosmides
1990; see Wilson 1994 for a partial critique). Notwithstanding the above, it is
possible for different populations to possess minor adaptive physical
differences like skin color, so it is also
theoretically possible for different populations to possess minor adaptive
cognitive differences, though no such differences are known to exist. Just as
anatomists have prioritized a focus on pan-human anatomy, EP has prioritized a
focus on pan-human psychology.
Similarly, male and female bodies are identical in
most ways, but profoundly different in some. Male and female hearts are
essentially identical, but testicles are very different from ovaries. EP
proposes that the same is true of the brain. Male and female cognitive
abilities are likely to be identical in most respects, but to differ
fundamentally in domains like mating where the sexes have recurrently faced
different adaptive problems (Buss 2004).
If you consider these implications to be racist or
sexist, then evolutionary psychology is racist or sexist. Nothing in
evolutionary theory, however, privileges one group over another, or males over
females. Are ovaries superior to testicles? The question is meaningless. Are
male mate preferences superior to female mate preferences? The question is
equally meaningless.
Is evolutionary psychology a form of genetic
determinism?
Critics often accuse evolutionary psychologists of
genetic determinism, and, in one sense, they are right. It is telling evidence
of a pervasive dualism, though, that anatomists escape this abuse. Although the
processes whereby genetic information directs the development of bodily
functions are still largely unknown, there are compelling empirical and
theoretical reasons to believe that there are genes for arms, legs, and lungs.
Because all humans (with rare exceptions) have arms, legs, and lungs that are
built the same way, we can surmise that we all share essentially the same genes
for these limbs and organs. The universal architecture of the body is
genetically specified in this sense. Since psychological adaptations like
vision are no different from other adaptations in this regard, they, too, are
genetically specified human universals.
This, however, is not what is usually meant by
‘genetically determined.’ Sometimes what is meant is that behavior
is genetically determined. But genetically determined
mechanisms does not imply genetically determined behavior.
Just as a genetically determined universal skeletal architecture of bones and
muscles can perform a huge variety of new and different movements, so too can a
genetically determined universal psychological architecture that evolved to be
exquisitely attuned to local environmental circumstances produce countless behavioral outcomes in different individuals with different
experiences and in different situations. If the brain had only twenty
independent mechanisms, each of which could be in only one of two states set by
local environmental conditions, the brain would have 220 , or about
a million, different states and, potentially, a corresponding number of
different behaviors. Because the EP model of the
brain posits a very large number of innately specified mechanisms (perhaps
hundreds or thousands), most of which are sensitive to environmental
conditions, the brain could potentially be in any one of an astronomically
large number of different states with different behavior
outcomes, even if many of these modules were not independent of one another.
EP’s model of a genetically determined, massively modular brain predicts far
too much behavioral flexibility and diversity, not
too little.
Why do people hate evolutionary psychology?
Slavish support for reigning political and moral
attitudes is a sure sign of scientific bankruptcy. It is reassuring, then, that
EP has something to offend just about everyone. Surely you, the reader, if you
are not already a jaded evolutionary psychologist, are offended by at least one
of EP’s speculations that there might be innate, genetically based adaptations
hardwired into our brains for rape, homicide, infanticide, war, aggression,
exploitation, infidelity, and deception.
I know I was. If, further, you would like to see these
plagues wiped from the face of the earth, you might understandably be
sympathetic to critics who advance something like the following syllogism,
which appears to underlie most criticisms of EP:
I [the critic] want political change, which requires
changing people. Evolutionary psychologists argue that people have innate and
unchangeable natures, so they must therefore be opposed to social or political
change, and are merely attempting to scientifically justify the status quo.
If EP predicted that social or political change were
impossible, then it would be wrong on its face. The tremendous amount of social
and political change over the course of human history is irrefutable. This is
no real mystery. Consider a hypothetical population of organisms whose
‘natures’ are completely genetically specified and unchangeable. Suppose,
further, that these organisms have a number of identical preferences and
desires, all unchangeable, but, because resources are limited, not all
individuals can fulfill their desires. These
creatures are therefore often in conflict with one another. Suppose, finally,
that these organisms have the ability to negotiate. It is not hard to see that
even if individuals’ natures are unchangeable, social outcomes are not. Because
our hypothetical organisms are able to negotiate, they are (potentially) able
to form social arrangements that are equitable, fairly dividing resources and
punishing individuals who violate these agreements. When circumstances change,
new agreements can be forged.
Circumstances will change, so social change is
inevitable despite the creatures’ unchangeable natures. In fact, it is their
genetically determined, unchangeable cognitive ability to negotiate that
guarantees social change! Because humans, too, can negotiate, and can also
dramatically ‘tune’ their individual, innate, psychological architectures based
on their past experiences and current circumstances, the possibilities for
social change are multiplied thousandfolds.